Wahlfach Atmosphären - Elective Course Atmospheres 2013
Im Gefängnis atmosphärische Räume entwerfen 1


In enger Zusammenarbeit und mit einem grossen Dank verbunden entstand dieses Wahlfach in den Justizvollzugsanstalten Aichach (Frauen) und Amberg (Männer).


Hintergrund dieses Projekts sind meine Erfahrungen aus meinem Forschungsfreisemester, als ich mit einem hervorragenden Pädagogen und Sozialwissenschaftler in Berlin zusammenarbeiten konnte. Dort ging es um Menschen, die von Hartz IV leben mussten, sozial kaum noch Zugehörigkeit fühlten und eine reduzierte, monotone Mobilitätsstruktur zeigten - eingegrenzt oder isoliert beschrieben sie ihre Situation. Für diese Menschen entwickelten wir Konzepte, sie aus langjährigen, eingeschränkten Umgebungen heraustreten zu lassen. Darunter waren auch junge Menschen, die mehrjährige Haftstrafen verbüsst hatten und nun ohne Perspektive und Grundlage in diese Qualifizierungsmassnahmen kamen. Wir machten bei ihnen besondere Beobachtungen über ihre Wahrnehmungsmuster.
Interessant dabei war, dass, erstens, sich die Wahrnehmungen von Menschen in sozial beengten Lebenssituationen (die also kaum aus dem Haus gingen) denen von ehemaligen Häftlingen sehr ähnelten: bei beiden Gruppen waren räumliche Vorstellungen eingeschränkt und es fehlte an Immaginationsfähigkeit.
Und zweitens, dass sich weibliche Wahrnehmungen von den männlichen unterschieden.

“That was the best day in the whole Studium ”(Lama)

Didaktisches Ziel

Mein didaktisches Ziel war nun, dass die Studierenden mit Menschen in Haft gemeinsam atmosphärische Konzepte und Räume entwickeln sollten. Die Methode, die hierbei zur Anwendung kam, gab den Studierenden eine deutliche Steigerung an Empathie (sie verstehen besser, warum manche Räume von anderen so empfunden werden), an Kreativität (phantasievolle Entwürfe) und auch an eigener Initiative und Selbstvertrauen (man kann schöne Umgebungen gestalten lernen).
Gefängnisse haben in Deutschland den gesetzlichen Auftrag, inhaftierte Menschen zu resozialisieren. Das bedeutet nichts anderes, als dass sie auf ein Leben nach der Haftzeit vorbereitet werden sollen.

“Wann kommt Ihr wieder?” (2 Gefangene)

Mit unserem Seminar wollten wir einen kleinen, niedrigschwelligen Beitrag innerhalb dieser Konzeption beitragen und damit die globale Strategie unterstützen: mit der Idee und der Entwicklung von Atmosphären schaffen wir Träume und Visionen. Diese sind elementare Bausteine von Inspiration.
Inspiration wird in Gestalt eines Diskurses und eines Modells umgesetzt. Damit erreichen wir, dass Perspektiven entwickelt werden können, indem von den Träumen all das destilliert wird, was umsetzbar ist. Die Beteiligten werden befähigt sein, zu wissen, wie man sich einen Traum realisierbar macht; damit entwickelt man einen eigenen, persönlichen Plan - ein Lebenskonzept. Das Konzept reichte ich beim kriminologischen Dienst des Freistaates Bayern ein und erhielt ein Gutachten, welches mir den Zugang zur Haftanstalt Aichach (Frauen) und zur Haftanstalt Amberg (Männer) sicherte.

Die Workshops in Aichach und Amberg
Zu jeder JVA nahm ich 15 Studierende mit, 15 Gefangene kamen jeweils dazu. Sechs Stunden hatten wir Zeit für jeweils ein Modell - gebaut von jeweils einem Duo Architekt/ in - Gefangene, und die Ergebnisse konnten sich sehen lassen: Schöne Zellen, schöne Gärten und Wohnhäuser entstanden, manchmal eine Bar, manchmal ein Ferientraum am Strand.

Eine teilnehmende Gefangene schrieb dazu:
“Wer auf Johann-Peter Scheck trifft, hat den Hauptgewinn gezogen. Den Scheck kann zwar niemand einlösen, dafür er ganz schön was auslösen. Mit seiner Ausstrahlung macht er richtig Stimmung im Schulsaal, er verleiht dem Raum einen eigenen Glanz, ein Gepräge der ganz besonderen Art.
Stimmig: seine charakteristische Eigenart, Feeling, Beleuchtung, Stil, Sphäre - einfach alles passt. (…) Ja, wir erfahren sehr viel Empathie - gegenseitig - und so gewinnt das Projekt nochmals an Wert. Unbezahlbar wird es in meiner Erinnerung bleiben als das tollste (Knast-)Erlebnis, seitdem ich hier parke.”
(Danke, S!)

Zwei Wochen später dann der Workshop in der JVA Amberg, mit männlichen Gefangenen. Ich hatte dieses Mal vier jordanische Austauschstudentinnen dabei. Sie sprachen kein Deutsch, aber kaum waren hier die Gefangenen an den Tischen mit ihren „Architekten“ und „Architektinnen“, war jede Scheu verflogen, auch hier ein freundliches Murmeln allerorts. Wir haben auch hier einen wunderbaren Tag verbringen dürfen, haben viel gelacht, tolle Modelle gebaut und dann bei Kaffee und Kuchen über unsere besondere Begegnung diskutiert.

Stimmen aus der Leitung der JVA Amberg:
“Die Gefangenen waren am Abend danach und auch am nächsten Tag noch ganz "verwirrt" und erstaunt, dass ihnen so ein völlig anderer Tagesablauf hinter Mauern mit jungen Leuten von draussen geboten wurde… Bei etlichen Gefangenen ist ADHS diagnostiziert, sie können nicht "stillhalten", weder im Unterricht, in Gruppen oder bei der Arbeit; bei diesem Workshop mit paarweiser "Freiarbeit" am Modell ist das verblüffend gelungen!”

Fazit

Erstes Fazit:
Meinen Studierenden hat es die Augen geöffnet, stigmatisierten Menschen anders zu begegnen. Sie haben verstanden, was Architektur auch noch sein kann.
Zweites Fazit:
Die weiblichen Gefangenen bauten allesamt Räume für sich selbst; die männlichen Gefangenen mehrheitlich für ihre Familien oder Kinder. Das hatten wir so nicht erwartet.

Grosser Dank an meine Studenten!